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Warum sind neue Verhütungsmethoden nötig?

Als sie 1961 in der damaligen Bundesrepublik auf den Markt kam, durfte die Antibabypille nur verheirateten Frauen verschrieben werden. Der Hersteller propagierte sie als Mittel gegen Menstruationsstörungen – der für Nutzerinnen viel wichtigere Zweck wurde im Beipackzettel eher verschämt genannt. Dennoch setzte sich das Medikament in den 60er-Jahren als fast sicheres Verhütungsmittel durch. Die Pille war nicht der einzige, aber ein wichtiger Grund dafür, dass nach dem Höchststand 1965 die Geburtenrate stetig zurückging.

Heute gibt es einen Pillenknick der anderen Art. Zunehmend weniger Frauen akzeptieren die Manipulation ihres Körpers mit Hormonen. Zahlen der Krankenkasse AOK zufolge verwendeten im Jahr 2010 noch 46 Prozent der Mädchen und jungen Frauen die Pille, inzwischen sind es nur noch 32 Prozent. Das liegt auch daran, dass die Risiken der Arznei erkannt wurden. So erleiden je nach Präparat bis zu 15 von 10 000 Nutzerinnen eine Thrombose. Ein Teil der Frauen bekommt psychische Probleme. „Nach heutigem Stand würde die Pille wahrscheinlich gar nicht mehr zugelassen“, sagt Dr. Christian Leiber-Caspers, Sektionsleiter des Bereichs Andrologie im Krankenhaus Maria-Hilf in Krefeld.

Das bekräftigt auch die Forderung an Männer, sich verstärkt um Verhütung zu kümmern. Bisher ist das nur mit Kondomen oder einer operativen Durchtrennung der Samenleiter möglich. Seit Jahrzehnten wird an der „Pille für den Mann“ geforscht. Doch der Durchbruch lässt auf sich warten. Eine weit gediehene Studie hat die WHO wegen Nebenwirkungen bis hin zu schweren Depressionen gestoppt.

Warum wird jetzt darüber gesprochen?

Bei Verhütungsmitteln, die statt auf die Eizelle auf die Spermien zielen, setzen Forscherinnen und Forscher nach wie vor überwiegend auf Hormone. Sie verhindern die Spermienproduktion. Zunehmend geraten aber Ansätze in den Fokus, die die Produktion der männlichen Samenzellen nicht unterbinden, sondern in deren Funktionsweise eingreifen. Ein Beispiel ist die Blockade spezieller Kanäle in der Spermienmembran, die ein US-Team vorstellte.

Wie alle Zellen weisen Spermien zwischen ihrem Inneren und ihrem Außenraum eine elektrische Spannung auf. Um im Eileiter zu wandern und eine Chance auf die Befruchtung zu bekommen, müssen sie diese Spannung verstärken. Das gelingt ihnen, indem sie Kanäle öffnen, durch die positiv geladene Kaliumionen nach außen wandern können. Das haben die Forscherinnen und Forscher in ihrer Studie belegt.

Der erstmals vor zehn Jahren nachgewiesene Kanaltyp kommt nur in Spermien vor. Nun wurde im Labor eine Substanz namens VU0546110 gefunden, die diese Kanäle blockiert, die Fortbewegung der Spermien im weiblichen Genitaltrakt beeinträchtigt – und damit das Potenzial für ein neuartiges Verhütungsmittel hat. Allerdings sind noch sehr viele Fragen offen. Der Weg zu einer Zulassung ist deshalb noch weit.

Was haben Frauen und Männer davon?

Die Forschung befindet sich in einer ganz frühen Phase, liefert aber einen wertvollen Impuls. Ob das Prinzip funktioniert, müsste zunächst in Tierversuchen und dann an Menschen erprobt werden. Allerdings ist die viel zitierte Pille für den Mann damit kaum zu erwarten. Weil die Wirkung rasch nachlässt, käme eher eine Anwendung als Vaginalcreme oder -gel infrage. Es gibt solche lokalen Mittel zwar bereits, doch pro familia empfiehlt sie nur in Kombination mit Diaphragma oder Verhütungskappe.

Die US-Forscherinnen und -Forscher vermuten, dass ihr Hemmstoff nur minimale Auswirkungen auf andere Kaliumkanäle haben wird, etwa im Herzen und den Muskeln. Das müssen Versuche aber erst belegen. „Andernfalls würden Herzrhythmusstörungen oder Herzmuskelschäden drohen“, sagt Professor Michael Zitzmann, Oberarzt am Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie der Uniklinik Münster. Offen ist auch noch, ob die Methode effektiv genug wäre. All diese Fragen sollen nun näher untersucht werden.

Zitzmann bleibt skeptisch. „Mit hormonellen Methoden für den Mann sind wir viel weiter“, sagt er. Dazu läuft auch bereits eine klinische Studie mit einigen Hundert Paaren. Sie erhalten ein Gel mit einer Kombination aus Testosteron und einem Gelbkörperhormon, das sie sich täglich auf die Schultern reiben.

Ein Problem bleibt aber bei allen Ansätzen: eine pharmazeutische Firma zu finden, die Entwicklungen bis zur Zulassung finanziert. „Wir haben es hier nicht mit Patienten zu tun, sondern mit jungen, gesunden Menschen“, erklärt Christian Leiber-Caspers. „Da bräuchte man Zigtausende Teilnehmer an Studien, um zu zeigen, dass Nebenwirkungen extrem selten sind. Und das ist teuer.“

Sprechstunde

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Quellen:

  • Bundeszentrale für politische Bildung: 55 Jahre "Pille". https://www.bpb.de/... (Abgerufen am 11.05.2023)
  • Pressemitteilung

  • Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte: Rote-Hand-Brief zu hormonellen Kontrazeptiva: Neuer Warnhinweis zu Suizidalität als mögliche Folge einer Depression unter der Anwendung hormoneller Kontrazeptiva. https://www.bfarm.de/... (Abgerufen am 11.05.2023)
  • Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte: Venöse Thromboembolien und kombinierte hormonale Kontrazeptiva. https://www.bfarm.de/... (Abgerufen am 11.05.2023)
  • pro familia: Verhütungsgels, Verhütungscremes. https://www.profamilia.de/... (Abgerufen am 11.05.2023)
  • Science media center Germany: Verhütung durch Hemmung eines Kaliumkanals bei Spermien. https://www.sciencemediacenter.de/... (Abgerufen am 11.05.2023)
  • Lyon M et al.: A selective inhibitor of the sperm-specific potassium channel SLO3 impairs human sperm function. In: PNAS 24.01.2023, 120: 1-9
  • Behre HM et al.: Efficacy and Safety of an Injectable Combination Hormonal Contraceptive for Men. In: J. Clin. Endocrinol. Metab. 01.12.2016, 101: 4779-4788
  • Leiber-Caspers C: Why Is There Still No ‘‘Pill for Men’’? Current Developments in Hormonal and Nonhormonal Medical Contraception for Men. In: European Urology Focus 25.11.2022, 9: 25-27