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Schon aus der Erwartung heraus, dass wir wieder Freunde treffen werden, feuert unser Gehirn freudig mit Dopamin um sich. Das ist der Stoff, aus dem unser Glück entsteht, der uns antreibt und uns trotz aller Unwägbarkeiten am Ende des Tages ein Lächeln ins Gesicht malt. Erlebnisse wie Reisen oder Feiern inspirieren uns, Routinen vereinfachen unser Denken. All das war aufgrund der Pandemie lange weg – und führt dazu, dass wir uns in letzter Zeit vielleicht etwas anders fühlen: unkonzentriert, leicht überfordert, grübelnd, unmotiviert, gestresst. All das ist aber auch ganz normal in solch einer Situation. Zunächst.

„Wenn ich ein Experiment liefern sollte, mit dem ich Depressionen herstelle, dann hätte ich die Pandemie gewählt: Geben Sie den Leuten Stress und nehmen Sie ihnen gleichzeitig das weg, was sie den Stress überwinden lässt“, sagt Professorin Ulrike Lüken. Sie ist Psychotherapeutin an der Humboldt-Universität zu Berlin und hat in einer klinischen Studie untersucht, wie sich die Corona-Krise bislang auf unser Seelenleben ausgewirkt hat.

Therapie-Anfragen stark angestiegen

Die Pandemie verursacht enormen Stress und Gefühle wie Überforderung, Angst, Frust und Trauer. „Aber ich will die Menschen jetzt nicht krank reden. Das sind alles ganz normale Reaktionen auf eine außergewöhnliche Situation“, erklärt Lüken. „Aber wir wissen das auch aus der bisherigen Forschung – etwa bei Umweltkatastrophen. Das geht zeitversetzt immer mit einem Anstieg an psychischen Störungen einher.“

Das belegt eine Erhebung der Deutschen Psychotherapeuten-Vereinigung (DPtV). Eine Blitzumfrage des Verbands im Frühjahr mit rund 4700 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zeigte: Im Vergleich zum Vorjahr sind die Anfragen in den Praxen um durchschnittlich 40 Prozent angestiegen. Die Wartezeit für psychotherapeutische Maßnahmen – schon vor der Pandemie an der Grenze des Erträglichen – ist ebenfalls gestiegen. 38 Prozent der anfragenden Patientinnen und Patienten müssen sich laut DPtV länger als sechs Monate gedulden, bis ein erstes Gespräch stattfindet. „Nichtsdestotrotz leiden die Menschen“, betont Lüken. „Je länger die Belastung andauert, desto mehr läuft das Gefäß auch bei denen über, die vielleicht gar nicht so viel Vorbelastung haben.“

Die Psychologin und ihr Team haben deshalb untersucht, wie Betroffene alternativ mit Belastungserfahrungen umgehen können. Teil der Studie mit 1300 Probandinnen und Probanden – darunter Erwachsene ohne Kinder, Eltern sowie Kinder und Jugendliche ab elf Jahren – war daher auch eine Onlineberatung mittels einer App namens Aury. „Das ist eine sogenannte E-Mental-Health-App, die wir entwickelt haben, um eben erst mal wichtige Informationen zum Umgang mit Schlafstörungen, Ängsten und Depressionen zu geben“, so Lüken. „Wir konnten zwar den Stress nicht wegmachen, der ist ja durch die Pandemie gekommen, aber so konnten wir zumindest aus einer psychologischen Perspektive Tipps und Übungen anbieten, um mit dem Stress besser umzugehen.“

E-Mental-Health-Programme als Option

Abseits der Studie, die mittlerweile abgeschlossen ist, gibt es laut Lüken jedoch auch andere Apps, die Betroffene sich verordnen lassen können: „Der erste Weg führt daher zum Hausarzt, der diese E-Mental-Health-Programme verschreiben kann“, sagt Lüken. „Ich persönlich bin zwar skeptisch, dass das eine vollumfängliche Psychotherapie ersetzen kann, aber man kann damit arbeiten und versuchen, so eine Art Erste Hilfe zu bekommen.“

Alternativ dazu gibt es eine Reihe an Dingen, die jeder und jede selbst tun kann, um sich aus der Stress-Spirale zu befreien. Dazu gehört, in Bewegung zu bleiben. Das hat eine sogenannte Megaanalyse der Medical School Hamburg (MSH) bereits 2012 ermittelt: Die Forschenden untersuchten dazu 39 Metaanalysen zu dem Thema. Insgesamt umfasste die Arbeit der MSH 1600 Studien mit zusammen 142 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Eindeutiges Ergebnis: Sport wirkt ähnlich gut wie ein Antidepressivum. Expertin Lüken: „Das kann Laufen sein, Fahrradfahren, das kann auch einfach Spazie­rengehen sein. Dadurch erfahren Sie nämlich wieder Selbstwirksamkeit: Ich mache jetzt etwas für mich.“

Jeden Tag ein Termin mit sich selbst

Wer das mit sozialen Kontakten verknüpfe, verstärke das positive Erlebnis zusätzlich, betont Lüken und hat noch einen weiteren Tipp: „Das betrifft jetzt den Großteil der Menschen, die gestresst, aber nicht wirklich psychisch erkrankt sind: Versuchen Sie, Zeiten für sich einzuplanen, in denen Sie angenehme Dinge für sich selber machen – es reicht auch, wenn Sie für eine halbe Stunde Musik hören oder etwas Schönes kochen oder Achtsamkeits- und Meditationsübungen machen – versuchen Sie, einmal am Tag einen Termin mit sich selbst zu machen.“

Und ob der andauernden Corona-Krise hat die Psychologin noch eine gute Nachricht: „Unser Gehirn ist hochplastisch – es passt sich allen Umweltbedingungen ziemlich schnell an. Das, was wir während der Pandemie erlebt haben, ist keine Einbahnstraße. Unser Gehirn wird dadurch nicht geschädigt und es kann sich davon wieder ziemlich schnell erholen.“