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Es gibt diese Tage, an denen ist für Michele R. alles grau. Egal, wie das Wetter draußen vor der Tür in der Uckermark ist. „Ich ­habe keine Farben mehr. Ich fühle mich sterbenskrank, obwohl ich eigentlich kerngesund bin“, erzählt die junge Mutter. Sie würde sich am liebsten im Bett verkriechen. Aber da sind die drei Kinder: zwei Mädchen, sechs und vier, und der Junge, eineinhalb. Für die muss die Alleinerziehende aufstehen. Socken anziehen, Kita-Rucksäcke packen, Essen machen: „Ich will ja, dass es ihnen gut geht, dass sie was erleben, und das hilft mir halt sehr.“

Eltern mit Depression sind doppelt belastet

Depression ist eine Volkskrankheit, die genauso junge Eltern treffen kann. Gedrückte Stimmung, Freudlosigkeit, kein Interesse mehr an Hobbys. „Oft erkennt man sich selbst nicht wieder“, sagt Professor Dr. Ulrich Hegerl, Vorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe in Leipzig. Betroffene neigen zu Schuldgefühlen, haben keinen Appetit, häufig schleichen sich hoffnungslose Gedanken ein. „Man ist permanent erschöpft, kann aber nicht einschlafen – ist also nicht müde und schläfrig, wie oft bei jungen Eltern.“ Oft fühlen Betroffene nichts mehr, nicht einmal Zuneigung zum Partner oder Kind.

Trotzdem dauert es mitunter lange, bis Eltern ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. „Menschen suchen oft andere gute Gründe dafür, dass sie so erschöpft sind“, sagt Anke Lingnau-Carduck aus Haan, Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie: Stress im Job etwa oder eine anstrengende Phase mit den Kindern. Wer schon vor der Elternschaft Erfahrung mit psychischen Erkrankungen gemacht hat, hole sich tendenziell schneller Hilfe.

Gute Chancen bei richtiger Behandlung

Erste Ansprechperson ist der Hausarzt oder die Frauenärztin, später auch Psychotherapeut oder Psychiaterin. „Das Allerwichtigste ist die konsequente Behandlung nach den Behandlungsleit­linien. Dann kann die Depression in aller Regel gut zum Abklingen gebracht werden“, sagt Hegerl. Neben der Psychotherapie sind Antidepressiva die wichtigste Behandlung, oft werden beide kombiniert. „Unter den verschiedenen Psychotherapieverfahren hat die kognitive Verhaltenstherapie mit Abstand die besten Wirksamkeitsbelege.“ Bei dieser Methode geht es darum, mithilfe der Therapeutin schädliche Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen zu erkennen und abzutrainieren. Wichtig sei, zu begreifen: „Ich bin nicht depressiv, weil ich ein schlechter Mensch bin, weil ich meine Prob­leme nicht aufgearbeitet habe, sondern weil ich einfach das Pech habe, die Veranlagung dazu zu haben“, so Hegerl. Bei schwerer Depression kann eine stationäre Behandlung nötig sein – manche Kliniken nehmen Mutter und Kind gemeinsam auf.

Eltern mit Depression: Zwischen Leere und Schuldgefühlen

Michele R. ist zweimal mit ihren Kindern auf Reha gefahren. Eine kleine Auszeit mit Gruppentherapie, Bewegungsangeboten und Betreuung. Zeitweise ging sie auch zu einem Psychologen, vormittags, als die Kinder in der Kita waren. Doch sie plagen Schuldgefühle – jeden Tag: „Ich fühle mich immer als schlechte Mama, wenn ich nicht mit den Kindern rausgehen kann, wenn ich nicht so glücklich bin wie die anderen.“ Auf Instagram erzählt sie von ihrer Depression, um anderen Betroffenen zu zeigen, dass sie nicht alleine sind. Mütter habenihr geschrieben, dass sie sich nun auch trauen, eine Reha zu beantragen.

Viele depressive Eltern befürchten, ihre Kinder nicht mehr versorgen oder emotional für sie da sein zu können. Familientherapeutin Lingnau-Carduck rät, sich nicht nur zu überlegen, was gerade nicht geht – sondern was alles noch da ist: „Auch mit einer Depression sind es häufig liebevolle Eltern, die auch über die eigenen Grenzen gehen, wenn es dem Wohl des Kindes dient.“ Auf der Website elternsein.info (Stichwort: Corona-Pandemie: Ideen für Familien) finden sich Aktivitäten, die leicht zu bewältigen sind – zum Beispiel ­eine Gefühlsuhr basteln oder Wunsch-Seifenblasen losschicken. Die wilde Polsterschlacht oder den Ausflug in den Märchenpark können vielleicht ­Tante oder Opa übernehmen.

Schon ab zwei, drei Jahren könne man Kindern Depressionen erklären, etwa mit Büchern. „Manche greifen die Lebenswelt der Kinder auf – und beschreiben die Krankheit zum Beispiel als Monster oder als großen schwarzen Hund“, sagt Lingnau-Carduck. „Das zeigt dem Kind: Das ist nicht die Mama oder der Papa, das ist die Depression.“ Auch Partner seien gefordert, den Umgang mit der Erkrankung zu lernen. Sätze wie „Jetzt steh mal auf, ich hab den Tisch so schön gedeckt“ erhöhen den Druck in depressiven Phasen noch mehr. Wichtig ist, Verständnis zu zeigen und zu signalisieren: Ich bin für dich da. Aber Partner sollten sich auch Zeit für sich, für Sohn oder Tochter nehmen. „Für das Kind ist es wichtig, dass es neben der weinenden Mama noch andere Menschen gibt, die für es in schwierigen Situationen erreichbar sind“, sagt die Therapeutin. Helfen können Freundinnen, Freunde und Familie, aber auch Ehrenamtliche, etwa von Freiwilligen­börsen oder der Kirche.

Hilfe für Familien durch das Jugendamt

Für Menschen mit Depression sind kleine Alltagsaufgaben oft riesige Hürden: etwa, die Wohnung in Schuss zu halten. Prinzipiell gibt es die Möglichkeit, über die Krankenkasse eine Haushaltshilfe zu bekommen – eine Diag­nose ist dabei hilfreich. Auch können Sorgeberechtigte beim Jugend­amt einen Antrag auf Hilfe zur Erziehung stellen und erhalten so Beistand durch Fachkräfte. Die Angst, das Sorgerecht zu verlieren, ist „in der Regel ganz unbegründet“, sagt Lingnau-Carduck. Jugendämter würden Familien unterstützen.

In der Praxis greifen manche Hilfen aber nicht. Michele R. habe die Kasse keine Haushaltshilfe zugebilligt, erzählt sie. Auch ist sie derzeit nicht in Therapie: „Einfach, weil ich hier keinen Psychologen finde, der Zeit hat. Durch Corona sind alle komplett ausgelastet.“ Geht es R. besonders schlecht, bleibt sie mit den Kindern derzeit zu Hause. Und denkt an die schönen Tage, die es auch in der Depression immer wieder gibt: „Wenn wir unterwegs sind und ich die Kinder glücklich sehe, geht es mir halbwegs gut.“

Hier finden Betroffene Hilfe:

Selbsttest und Adressen von Beratungsstellen: www.deutsche-depressionshilfe.de, Info-Telefon Depression: 0800/33 44 533

TelefonSeelsorge – kostenlos und rund um die Uhr erreichbar unter 0800/111 0 111 oder 0800/111 0 222

Akute Krise? Bitte Rettungsdienst unter 112 rufen oder psychiatrischen Notdienst oder Klinik kontaktieren

Depressiv mit Kindern? Einrichtungen, in die man Kinder mitnehmen kann, finden Sie hier: www.schatten-und-licht.de/mutter-kind-einrichtungen

Projekte, Initiativen und Einrichtungen, die betroffene Familien beraten und Kindern eine Auszeit bieten: www.bag-kipe.de/einrichtungen-projekte

Hilfe für Angehörige: www.familiencoach-depression.de und www.bapk.de

Erfahrungsaustausch online: fachlich moderiertes Online-Forum www.diskussionsforum-depression.de

Dr. Stephanie Wallwiener

Depressionen bei Schwangeren früh erkennen

Mit ihrem Projekt Mind:Pregnancy will die Gynäkologin Dr. Stephanie Wallwiener Depressionen bei Schwangeren frühzeitig feststellen. Warum das so wichtig ist und wie kleine Dinge Betroffenen helfen können zum Artikel